Genesis
Website 1 | Website 2 | Website 3
Bemerkungen
Genesis dürfte wohl die bekannteste (ehemalige) Prog-Band unter den klassischen englischen Gruppen sein. Wer kennt nicht Stücke wie "Invisible Touch" oder "I Can't Dance", und sei es nur aus dem Radio? Dies aber nur (genaugenommen noch nicht mal) die halbe Wahrheit. Wer sind also die Leute, die nun seit über 30 Jahren aus der Musiklandschaft kaum wegzudenken sind und als Väter des Neoprog gelten?
Dies kann natürlich nur ein gröbster Überblick sein - wer sich näher mit der Gruppe auseinandersetzen möchte, kommt an Lesestoff nicht vorbei.
1968/69
Und dabei fing alles so harmlos an. Bereits 1968 taten sich im englischen Internat "Charterhouse" zwei Schülerbands zusammen, aus denen später die Urformation von Genesis entstehen würden. Zum einen war das "The Garden Wall", bestehend aus Peter Gabriel (Gesang) und Tony Banks (Klavier) - zum anderen "The Anon", neben anderen mit Mike Rutherford und Anthony Phillips.
Man spielte bei diversen Gelegenheiten wie Schulfesten, schließlich auch zusammen. Dazu stieß zuerst John Silver als Schlagzeuger. In dieser Besetzung nahmen sie ein Demoband auf, das Jonathan King, auch ehemaliger Charterhouse-Schüler und inzwischen recht erfolgreicher Produzent, zugespielt wurde. Dieser war immerhin so angetan, dass sie unter Vertrag nahm und eine Single aufnahm, die am 2. Februar 1968 veröffentlicht wurde - "The Silent Sun". Wenn man das Stück heute hört, glaubt man kaum, dass das die Musiker sind, die später Alben wie "Foxtrot" aufnehmen würden. King war zu der Zeit Bee Gees-Fan, und Genesis schrieben diesen Song in erster Linie, um ihrem neu gefundenen "Mentor" zu gefallen. (King ist übrigens auch für den Namen "Genesis" verantwortlich - Alternativvorschläge von Seiten der Band waren "Champagne Meadow" und "Gabriel's Angels".)
Schließlich nahmen die knapp Volljährigen sogar ein Album unter der Regie Kings auf - der sich auch von den Single-Flops nicht von seiner Entdeckung abbringen ließ. Ergebnis dieser Sessions ist das Album "From Genesis to Revelation", das im Sommer 1969 erschien - und laut der Legende ganze 600 Stück absetzte. Auch die Gruppe war mit ihrem Album nicht zufrieden - King hatte ohne ihr Einverständnis professionelle Arrangeure hinzugezogen, um die Stücke mit ordentlich Streichern und Bläsern zu "verschönern". Der Vertrag mit King wurde gekündigt, und die Schüler widmeten sich wieder ihrem Unterricht. Das hätte schon das Ende sein können...
1970
...aber 1970 ging die Geschichte weiter. Gabriel, Banks, Rutherford und Phillips trennten sich von ihrem bisherigen Drummer, ersetzten ihn durch John Mayhew und tourten weiter durch England. Es entstand Songmaterial, das ganz anders war als die harmlosen Dreiminüter auf ihrem Debüt. Es wurden Stücke wie "The Movement", angeblich 45 Minuten lang, oder "Going Out To Get You", aus dem später "The Knife" wurde, geschrieben, und schließlich wurde Tony Smith, Inhaber des neu gegründeten "progressiven" Plattenlabels Charisma Records auf die Gruppe aufmerksam. Nachdem er ein Konzert erlebt hatte, wurde die Band unter Vertrag genommen. Produkt dieser Zusammenarbeit war das Album "Trespass". Der große kommerzielle Erfolg blieb aus, und endlose Tourneen zehrten an den Nerven der Bandmitglieder, bis schließlich Anthony Phillips, der sich auf der Bühne grundsätzlich nicht wohl fühlt, seine Gitarre an den Nagel hing und Genesis verließ.
Nach kurzer Zeit des Umbruchs und der Experimente (so spielten sie eine Weile als Vierergruppe, wobei Banks die Gitarrenparts auf den Keyboards übernahm, oder das kurze Gastspiel von Mick Barnard als Gitarrist) stieß schließlich Steve Hackett zur Band. Auch mit dem Drummer Mayhew war die Band nicht mehr so recht zufrieden, und ein gewisser Philip Collins, zuvor bei Flaming Youth, nahm hinter dem Schlagzeug Platz.
Da war sie nun - die für die meisten Fans "klassische" Besetzung.
1971-72
Die Zeit war reif für ein neues Genesis-Album, und "Nursery Cryme" erblickte das Licht der Welt. Sie hatten ihren Stil gefunden, und Achtungserfolge im europäischen Ausland gaben ihnen recht. Es wurden weiterhin sehr viele Konzerte gegeben, und es entstand das Material, das zu "Foxtrot" führen sollte. 1972 veröffentlicht, stellten sich mit diesem Album auch langsam in England erste Erfolge ein. Für viele gilt das Album als Meilenstein in der Genesis-Diskographie, nicht zuletzt wegen "Supper's Ready", einem 22-minütigem Song, der eine Plattenseite nahezu ausfüllte.
1973
Ein neues Jahr - ein neues Album. "Selling England by the Pound" hieß das jüngste Kind der Gruppe, und langsam baute sich die Band eine treue Gefolgschaft auf. In diese Zeit fällt auch das erste Konzert im fernen Amerika. Peter Gabriel macht mit seinen obskuren Kostümierungen auf der Bühne von sich reden, und die Musikpresse nimmt sie zum ersten Mal wirklich wahr. Mit "I Know What I Like" gelingt ihnen gar ein kleiner Singlehit. Wer weiß, ob ohne die Verkleidungen Genesis jemals so erfolgreich gewesen wären...
1974/1975
Die Band packt ihr bislang ambitioniertestes Projekt an: ein Konzept-Doppel-Album. In langen, zermürbenden Sessions entsteht "The Lamb Lies Down On Broadway", das für viele als das Meisterwerk der Gruppe gilt. Nach einer anstrengenden Tournee ein Schock für die Fans: Peter Gabriel steigt aus! Die Musikwelt ist entsetzt, die Presse schreibt Nachrufe. Genesis ohne Gabriel, ohne die abgefahrenen Kostüme? Undenkbar!
Das Ende von Genesis? Schon wieder? Nein: der Rest der Band sind fest entschlossen, auch ohne Gabriel weiterzumachen. Nach kurzen Überlegungen, als Instrumentalband zu spielen, beschlossen sie: ein neuer Sänger muss her. Nach endlosen Auditions scheint aber kein passender Kandidat aufzutreiben zu sein. Nach anfänglichen Bedenken bekommt Phil Collins, bis dahin Schlagzeuger, aber schon oft als Backgroundsänger hervorgetreten, den Job.
Steve Hackett nutzt die Ruhepause, um sein erstes Soloalbum "Voyage Of The Acolyte", mit Unterstützung von Rutherford und Collins, fertigzustellen. Die Platte wird gut aufgenommen und wird ansehnlich verkauft.
1976
Nachdem die Band auf vier Mitglieder geschrumpft ist, und allem Tot-sagen zum Trotz, erscheint die erste LP ohne Gabriel: "A Trick Of The Tail". Die meisten Fans sind begeistert, und das Album wird das bislang erfolgreichste ihrer Karriere. Die Tournee steht an - doch ein Problem gibt es: wer soll Schlagzeug spielen, während Collins singt? Collins fragt sein großes Idol Bill Bruford, frisch aus den Diensten des schalachroten Königs entlassen, ob er nicht Lust hätte, mit Genesis auf Tour zu gehen. Gesagt, getan.
1977
Zum Jahreswechsel steht das neue Album in den Regalen: "Wind And Wuthering". Bruford ist mit seiner Rolle als "hired hand" nicht so recht zufrieden und widmet sich anderen Projekten - Ersatz wird Chester Thompson, der bis 1992 sowohl bei Genesis als auch bei Phil Collins solo nicht von der Bühne wegzudenken ist. Eine lange Tournee füllt das Jahr. Doch es zeichnet sich ab, dass Steve Hackett mit seiner Rolle bei Genesis nicht mehr glücklich ist. Seit seinem erfolgreichem Solo-Album hat er Blut geleckt, und will mehr von ihm geschriebenes Songmaterial aufnehmen und veröffentlichen. Das sieht er bei Genesis nicht mehr gewährleistet, und verlässt während der Abmischung des 1977 erschienen Live-Albums "Seconds Out" die Band. Und mal wieder steht die Band vor dem Aus.
1978
"...And Then There Were Three..." Der Titel des 78er Albums ist Programm: Die verbliebenen Mitglieder Banks, Rutherford und Collins beschließen, in dieser Besetzung weiterzumachen. Als Live-Gitarrist wird der Amerikaner Daryl Stuermer (ehemals bei John Luc-Ponty) gewonnen, während Rutherford im Studio sowohl die Gitarre als auch den Bass übernimmt. Das Album wird erneut erfolgreicher als das letzte, und mit "Follow You Follow Me" gelingt der erste wirklich große Hit, dem der Band viele neue Fans beschert, aber auch viele "Altfans" abwenden läßt.
1979/1980
Nach einer erneut langen und anstrengenden Tournee rund um den Erdball liegt die Ehe von Collins in Scherben. Auch alle anderen sind vom endlosen Touren der letzten Jahre erschöpft, und so wird 1979 zum Genesis-Sabbatjahr. Collins versucht zu retten, was zu retten ist, aber die Scheidung ist unvermeidbar. Tony Banks und Mike Rutherford nutzen das Jahr, um ihre Soloalben zu verwirklichen - A Curious Feeling" und "Smallcreep's day". Beides sind vergleichsweise gute Erfolge.
1980 war es dann soweit: die Arbeit an einem neuen Album beginnt. "Duke" wird weiterum erfolgreicher als alle Alben davor, und Collins schreibt erstmals selbst Songs. Mit "Turn It On Again" erscheint eine erfolgreiche Single.
1981/82
Phil Collins wird plötzlich Superstar. Der ernome Erfolg seines Soloalbums "Face Value" und der Single "In The Air Tonight" erstaunt nicht nur seine Kollegen. Plötzlich wird Genesis in den Augen der Öffentlichkeit zur "Phil-Collins-Band". Mit frischem Selbstbewusstsein wird das Album "Abacab" aufgenommen, und Collins' Einfluß ist deutlich spürbarer (die Bläser auf "No Reply At All", oder die typische Drummachine auf "Man On The Corner"). Die Scheibe verkauft sich wie geschnitten Brot, und die Tournee ist restlos ausverkauft - daher wird 1982, ohne neues Album, eine Zusatztournee anberaumt, begleitet vom Livealbum "Three Sides Live".
1983-1985
Collins feiert auch mit seinem zweiten Soloalbum große Erfolge, und Genesis kehrt mit einem Album namens "Genesis" auf die Bildfläche zurück. Die Hits reißen nicht ab, und eine Monstertournee folgt, die sich bis weit in 1984 hinzieht. Danach widmen sich die Mitglieder erstmal wieder ihren Soloprojekten - Banks schreibt u. a. Filmmusiken, Rutherford ruft seine Mechanics ins Leben und feiert höchst erfolgreiche Singles. Collins hat seinen kommerziellen Höhepunkt 1985 mit Hitsingles im Dutzend.
1986/1987
1986 wird das Genesis-Jahr - die Band und ihre Ex-Mitglieder streiten sich um die oberen Chartplätze. "Invisible Touch" - Song und Album, Peter Gabriel landet mit "So" den großen Treffer, und Steve Hackett trifft mit dem Projekt "GTR" und der Single "When The Heart Rules The Mind" - kommerziell gesehen - ins Schwarze. Eine großzügige Genesis-Welttournee folgt wie üblich.
1988-1991
Genesis wird wiedermals zu gunsten der Soloaktivitäten auf Eis gelegt. Alle Mitglieder veröffentlichen eins oder gar mehrere Soloalben mit unterschiedlichem Erfolg.
1991/1992
Ende 1991 folgt mit "We Can't Dance" die große Rückkehr. Das Album wird eines der Bestverkaufsten in Deutschland aller Zeiten, und die zahlreichen Singles wie "I Can't Dance", "No Son Of Mine" oder "Jesus He Knows Me" werden im Radio rauf- und runtergespielt. Dass eine ausverkaufte Welttournee sowie ein Livealbum ("The Way We Walk") folgt, braucht nicht erwähnt zu werden.
1993-1996
Schon 1993 wird bandintern klar, was erst 1996 öffentlich wird: Phil Collins quits Genesis! Das übliche Spiel: Aufsehen, Nachrufe. Aber wer bisher aufgepasst hat, weiß, was jetzt kommt. Banks und Rutherford machen trotzdem weiter. Einen neuen Sänger finden sie in Ray Wilson, einem jungen Schotten, der mit der Band Stiltskin einen Nummer-1-Hit mit "Inside" hatte. Am Schlagzeug nimmt Nir Z aus Israel Platz.
1997/1998
Erstes - und leider einziges - Lebenszeichen der "neuen" Genesis ist das Album "Calling All Stations", von der Musikwelt und den Fans mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Viel wurde im Vorfeld spektuliert, ob die Band jetzt ohne den "Weichspüler" Collins wieder zu ihren Wurzeln, dem progressivem Rock, zurückkehren würden. So gesehen muss das Album zwangsläufig enttäuschen: CAS ist ein solides Album geworden, düsterer als alles seit "Abacab", aber weit entfernt vom Prog der 70er. Leider hat man sich so ein wenig zwischen alle Stühle gesetzt: Den "alten" Fans war's zu poppig, und für die Popfans wiederum war Genesis ohne Phil Collins eben nicht Genesis. So verschwand das Album ziemlich schnell aus den Charts. Auch die anschließende Tournee lief nicht so wie geplant - der USA-Teil musste wegen mangelnder Nachfrage gar komplett abgesagt werden.
Ein leider etwas trauriger Schlußpunkt unter einer Geschichte, die so in der Popmusikgeschichte wohl einzigartig ist. Seitdem ist es etwas ruhiger um Genesis geworden. Neben einigen Archivveröffentlichungen und einem Greatest-Hits-Album gibt es nur hin und wieder Gerüchte über eine Reunion, die sich bislang aber nie erfüllt haben. Man darf gespannt sein - Genesis waren und sind immer für eine Überraschung gut. Und: dem Fan bleiben immer noch die Solo-Projekte, die in den letzten Jahren auch sehr produktiv waren.
2006/2007
Oktober 2006. Nach jahrelangen Gerüchteschmieden ist es nun Fakt: Genesis are alive - zumindest (zunächst?) "nur" in der Dreier-Besetzung Banks/Collins/Rutherford. Well: Turn it on again. :) Man darf auf die Zukunft gespannt sein.
(Michael Weinel)
Leitfaden
Genesis-Eintrag im Leitfaden "Britischer symphonischer Prog der 70er Jahre"
Personell verwandte Bands (Pfadfinder)
Max Bacon; Tony Banks; Brand X; Canterbury Glass; cut_; Flaming Youth; The Fusion Syndicate; Peter Gabriel; GTR; John Hackett/Steve Hackett; Steve Hackett; Mike & The Mechanics; Anthony Phillips; Anthony Phillips & Andrew Skeet; Anthony Phillips & Guillermo Cazenave; Anthony Phillips & Joji Hirota; Anthony Phillips & Harry Williamson; The Anthony Phillips Band; Mike Rutherford; Squackett; Daryl Stuermer; Chester Thompson; Ray Wilson
Alle besprochenen Veröffentlichungen von Genesis
Zum Seitenanfang
Besprochener Lesestoff zu Genesis
Zum Seitenanfang
|