Unleashed: The Story of Tool
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Informationen
Erscheinungsjahr: |
2009 |
ISBN: |
978-1-84772-709-1 |
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Verlag: |
Omnibus Press |
Verlagsort: |
London/New York/Paris/Sydney/Copenhagen/Berlin/Madrid/Tokyo |
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Rezensionen

"The very first book about the Anglo-American metal band Tool" - als solches wird Joel McIvers Buch sicherlich in die Geschichte der Rock-Berichterstattung eingehen. Aber nur als solches. Denn das beste Buch über Tool wird noch geschrieben werden. Und das wird so schwer nicht sein.
"Unleashed" schwächelt auf so vielen Gebieten, dass man beim Lesen oft das Gefühl hat, einem Amateur gegenüberzusitzen - tatsächlich hat Autor Joel McIver aber bereits ein Dutzend Bücher verfasst - meist Bandbiographien aus dem Metalbereich. Doch eins nach dem andern. Das Buch hat nämlich auch seine guten Seiten.
Zunächst aber zu seinem Aufbau. "Unleashed" geht chronologisch vor, beginnt mit den Kindheiten der fünf Tool-Musiker und "endet" 2009. Dabei ist es fast ausschließlich eine gigantische (weil fast 250 Seiten umfassende) Montage von Ausschnitten aus dutzenden Interviews. Die hat nun aber nicht McIver selbst geführt, sie sind vielmehr alle in den einschlägigen Magazinen nachzulesen: Kerrang!, Metal Hammer, Bass Player und wie sie alle heißen.
Und damit geht's schon los: Die Anordnung der Interviews ist nämlich streng chronologisch. Wenn McIver also aus einem Interview zitiert, dass 2008 über "Lateralus" geführt wurde, erscheint das im Kapitel "2008" - das Album ist aber 2001 erschienen... Ein themenorientiertes Lesen ist dadurch unmöglich, schlimmer noch: die Lektüre wird dadurch zu einem ermüdenden Versuch, den vermeintlichen Gedankensprüngen des Autors zu folgen. Die letztlich wohl einfach deshalb keine sind, weil er sich offenbar über die Gliederung seines Buches einfach zu wenige Gedanken gemacht hat. Leider, denn mit ein bisschen Mühe hätte man das vorhandene Material durchaus so anordnen können, dass eine runde Sache daraus hätte werden können. So aber stehen sich allzu oft widersprüchliche Aussagen auf derselben Buchseite gegenüber - und es wirkt seltsam, wenn eine Band einerseits (Wortspiel!) fordert, ihre Hörer sollen sich ein eigenes Bild machen, sich andererseits (Wortspiel!) aber über einzelne Interpretationen amüsiert.
McIver selbst tritt also für den Leser kaum in Erscheinung - jedenfalls tut er so. Tatsächlich ist er natürlich durch seine Auswahl, die Anordnung der Interviewschnipsel und seine Schere ständig präsent. Dass er selbst aber nur äußerst dünne Überleitungen zwischen den Ausschnitten verfasst hat, gibt dem Buch einen Anschein von Neutralität, der zwar in den USA gerade hip ist (siehe etwa Soderberghs "Che"), aber, weil er eben nur ein Anschein ist, mindestens ebenso gefährlich: Will man McIver nämlich in diesem Punkt trauen, ist die zentrale Botschaft Tools "Think for yourself", denke selbst, - etwas, was er in Bezug auf sein Buch dadurch verhindert, dass er die Kriterien seiner Auswahl unerläutert lässt.
Absicht? Es macht nicht den Eindruck. Vielmehr scheint McIver diesen intellektuellen Fehltritt selbst nicht zu bemerken: es unterlaufen ihm nämlich noch mehr, und sie sind alle ähnlich geartet:
Tool ist eine höchst seltsame Band. Sie kreierte ein "image based on mythological symbols and arcane theories" (so der Klappentext) und liebt es darüber hinaus, die Öffentlichkeit mit falschen Album- und Songtiteln, Schwadronierereien über erfundene Philosophen (checkt mal Ronald P. Vincent aus...) und Ankündigungen wie jene, Sänger Keenan habe zu Jesus gefunden und gebe daher die Band auf, hinters Licht zu führen. Derlei Späße verlangen nach einer vorsichtigen und zurückhaltenden, aber eben auch genauen und expliziten Interpretation sämtlicher Äußerungen - und das wird durch das Zitieren des einen und das Nicht-Zitieren des anderen Interviews allein nicht geleistet. Wie sind etwa Äußerungen der Bandmitglieder über Robert Anton Wilson's "Illuminatus"-Trilogie oder die Blutlinie Christi einzuordnen? Als ernstgemeinter Okkultismus? Als Scherz? Als Publicity-Gag? Immerhin geht es hier um eine Band die sich "Tool" nennt, also "Schwanz". Vielleicht dreht sich ein Song wie "Stinkfist" doch nur ums Fisten - egal was Maynard James Keenan über den Text sagt?
Diese und ähnliche Fragen lässt McIver unkommentiert. Stattdessen verliert er diese auf dem Klappentext noch besonders hervorgehobene Seite der Band - in der Öffentlichkeit immerhin die vorherrschende - fast über die gesamte Strecke seines Buches vollkommen aus den Augen und lässt Keenan und Kollegen stattdessen wie jede gewöhnliche Band übers Komponieren, das Touren, George W. Bush und das Showbusiness reden. Tool eine abgefahrene Band? Wo denn noch?
Vielleicht liegt das Problem darin, dass der Autor weder mit der Band selbst noch mit Personen aus ihrem Umfeld gesprochen hat. Zu weit entfernt ist er, um genauere Einschätzungen vornehmen zu können. Das ist vielleicht der Grund dafür, dass er es lässt - aber zumindest das müsste er explizit machen. Die Band sich selbst einschätzen zu lassen ist bei ihrer "think for yourself"-Philosophie nicht ungefährlich. Denn Tool mögen ja glauben, dass sie jedem ihrer Hörer lediglich einen Spiegel vor die Nase halten, aber jeder Spiegel ist an etwas befestigt, und dieses etwas ist es, das seine Rezeptionsmöglichkeiten auf weit weniger reduziert, als es die völlige Beliebigkeit, auf die ein "Think for yourself" wohl hinausliefe, ermöglichen würde. Dieses Etwas zu beschreiben, das also, was Tool tun, unterlässt MacIver. Wollte er das, müsste er Fragen stellen wie: Genügt es heutzutage, angesichts der wachsenden Komplexität der Welt gar keinen Standpunkt einzunehmen? Tun Tool das? Und: geht das überhaupt?
Und so geschieht es, dass er sich durch den Mangel an eigener Interpretation in eine allzu starke Abhängigkeit begibt von dem Material, das ihm zur Verfügung stand. McIver zeigt die Band weder beim Arbeiten noch beim Touren, er lässt die okkulte Symbolik, mit der sie sich umgibt, vollkommen unkommentiert und bringt es sogar fertig, ein Bild Tools zu zeichnen, ohne die für die visuelle Seite der Band mitverantwortlichen Chet Zar, Alex Grey, oder Osseus Labyrint auch nur beiläufig zu erwähnen. Geradezu seltsam mutet es an, wenn McIver anfangs immer wieder betont, Sänger Maynard James Keenan sei, was den Kontakt zur Öffentlichkeit angeht, der zurückhaltendste der Musiker, in der zweiten Hälfte des Buches dann aber den Fokus fast ausschließlich auf Keenan rückt und die anderen Bandmitglieder völlig aus "Unleashed" verschwinden lässt. Wir erfahren en detail, wie er an seine Soloprojekte (A Perfect Circle, Puscifer - was für ein Name!) herangeht oder seinen Wein keltert (Keenan ist seit einigen Jahren Weinbauer), Tool dagegen verschwinden in solchen Passagen weitgehend aus dem Buch. Das reine Kompilieren von Interviewschnipseln genügt eben nicht, eine Bandgeschichte braucht, wie jede Geschichte, einen Erzähler: sie schreibt sich nicht selbst. So gesehen, ist "Unleashed" keine Bandgeschichte, es ist vielmehr eine Chronologie des Interviewgebens der fünf Musiker.
Für eines allerdings bin ich McIver - oder sollte ich sagen Tool? - dankbar: In "Unleashed" wird endlich klargestellt, was ich schon lange vermutete: Tool sind keine Heavy-Metal-Band. Als ich auf dem Weg zu meinem ersten Tool-Konzert war, glaubte ich nämlich, meinen Augen nicht trauen zu können: Ich hatte mich auf ein Prog-Konzert eingestellt und das entsprechende Publikum erwartet: 50jährige Englischlehrer, Physikstudenten, Rollenspieler, keine Frauen. Stattdessen versammelten sich außer mir lauter Metalfans! Ich war der festen Überzeugung, dass, falls ihre Kutten die Auffassung kundtun sollten, es handle sich bei Tool um eine Metal-Band (sie können sie auch einfach nur angehabt haben), sie sich über die Genrezugehörigkeit Tool schlichtweg irrten. "Unleashed" bestätigt nun meinen Eindruck: Alle fünf Musiker zitiert McIver über den ganzen Band hinweg mit Aussagen darüber, dass Tool alles andere als eine Metalband seien, ja ganze Hasstiraden Keenans sowohl gegen die Hair-Metal-Bands der 80er wie gegen den Nu-Metal der 90er kann man hier nachlesen. Stattdessen werden als die großen Vorbilder King Crimson, Robert Fripp, Yes, Steve Howe und Pink Floyd gennant. Na, wer sagt's denn!
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